THE NECESSITY OF WELLBEING

Anne-Clara Stahl + Edin Zenun

7. April - 4. Juni 2022



Abstrakte Malerei strahlt eine gewisse Leichtigkeit aus, nach der wir uns in Krisenzeiten und in Momenten von sozialen Umbrüchen besonders sehnen. Sie zeigt keine verstörenden Inhalte und drängt sich nicht auf. Ebenso könnte man über Blumen sprechen und das wunderschöne Bouquet, welches das räumliche Zentrum der Ausstellung The Necessity of Wellbeing von Anne-Clara Stahl und Edin Zenun bildet. Der Strauß ist der Knotenpunkt und Ruhepol inmitten des lebhaften Dialoges zwischen den beiden Positionen, die hier aufeinandertreffen. Beide sind Vertreter*innen jener jungen Generation von Künstler*innen in Österreich, die abstrakte Malerei neu durchdenken und sich dafür unterschiedlichen Referenzapparaten und Strategien bedienen. Trotz ihrer starken Individualität lassen sich in ihrem Gegenüber Gemeinsamkeiten entdecken, die sich im Besonderen im Interesse am Ornament und in der Hingabe an die Wiederholung und Systematisierung von Prozessen äußern. 

 

In den großformatigeren Malereien verdichtet Anne-Clara Stahl (geb. 1990) ihre aufmerksamen Beobachtungen von Körperformen und Bewegungen zu dynamischen Mustern, die sich stets an der Bildoberfläche bewegen. Wechselseitig ineinandergreifend, sich manchmal überstülpend und mal überlappend zeigt sich eine repetitive Choreografie aus formalen Variationen, die sich ohne die Stahlrahmen über den Bildrand hinaus ins Unendliche fortsetzen könnte. Die schwarzen Umgrenzungen verleihen der zarten, pastellfarbigen Palette eine gewisse Schwere und betonen das Objekthafte und Haptische und damit die physische Präsenz der Werke im Raum. Auch bei der Wahl der Formate – die sich von Zenuns kleineren Bildern absetzen – denkt Stahl immer die körperliche Wahrnehmung der Betrachter*innen mit, wenn sie den Arbeiten gegenübertreten. Auffällig ist auch der stark zeichnerische Charakter der Werke, wenn die Künstlerin beispielsweise einen Rahmen wie einen Scherenschnitt auf eine Leinwand setzt und die blaue Malerei hindurchleuchtet oder in den Holzgrund ritzt, um Farbfelder scharf voneinander abzugrenzen. In den von Stahl für die Ausstellung neu geschaffenen Arbeiten lässt sich hierbei auch eine Entwicklung von stärker umrissenen Formen – abgeleitet von Handgesten – zu organisch ineinanderfließenden erkennen, die Assoziationen zu aufgefächerten und verwachsenen Blütenblättern hervorrufen. 

 

Den abstrakten Erfindungen von Edin Zenun (geb. 1987) liegt ein nahezu unerschöpfliches Potenzial an Variationen zugrunde. Er analysiert musikalische Kompositionsprinzipien und überträgt sie in seinen Malprozess, findet von der Norm abweichende ornamentale Architekturelemente im Stadtbild, sammelt Kritzeleien und Schriftbilder und zieht Inspirationen aus Naturbeobachtungen ebenso wie aus Enzyklopädien über Pflanzen. Dabei leitet ihn weniger die Findung origineller Formen als vielmehr die Fehler, Zufälle und Probleme, die beim Malen auftreten und die ständig neu gelöst werden müssen. Seine Bilder entstehen meist in einer Abfolge von drei Schritten und beginnen mit einem monochromen Farbgrund, der das Thema oder die Stimmung vorgibt. Darauf folgen Gegenbewegungen, die sich harmonisch oder schmerzhaft dazu verhalten und der Fläche eine Struktur geben. Im letzten Akt arbeitet Zenun dann Motive heraus und fügt tänzelnde, geschwungene Linien – zart und pastos zugleich – hinzu, die eine rhythmische Eigenständigkeit haben, ohne das ganze harmonische Gefüge auseinander zu treiben. Diese sich überlagernde und gleichzeitig ineinandergreifende Mehrstimmigkeit erinnert sowohl an musikalische Kompositionsprinzipen wie die Fuge oder das Sampeln, die ein Thema immer wieder neu und überraschend klingen lassen, als auch an das Arrangement ausgewählter Blumen zu einem Bouquet. 

 

Je abstrakter die Malerei, umso mehr wird sie zu einem Spiegel, in dem sich Vorstellungen, Wahrnehmungen und Wünsche – wie die Notwendigkeit von Wohlbefinden – aus Sicht der Künstler*innen und aus Sicht der Betrachter*innen reflektieren. Vielleicht sind die Arbeiten von Edin Zenun und Anne-Clara Stahl in der Ausstellung gerade jetzt so anziehend, weil sie ein willkommener Zufluchtsort sind, um für einen Moment der Außenwelt zu entfliehen.

 

Text: Marijana Schneider, 2022

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