FENDER

JULIA HAUGENEDER

6. August - 17. SEPTEMBER 2022



 FENDER

JULIA HAUGENEDER

 

6. August - 17. September 2022

 

 

 

feather

 

Die Hitze umfing uns, der Mittag, der lange unzerbrechliche Sommer.

 

Fender ist der Titel der Ausstellung von Julia Haugeneder in der Galerie Sophia Vonier in Salzburg. Hat das Wort Fender etwas gemeinsam mit Wörtern wie Kleist, Moos, Fasane, Wörter am Anfang eines Textes von Ilse Aichinger? [… ] oder gegen die Kleistgasse zu, die vielleicht deshalb so hieß, weil nichts darin an Kleist erinnerte oder weil niemand, der dort wohnte, etwas von ihm wußte. Und das wäre ja Grund genug. Daß Kleist mit Fasanen zusammenhing, mit Moos und mit der Bahn, wer hätte es sich träumen lassen, wenn nicht er selber und die Kinder dieser Gegend, die in der Moosgasse wohnten, in der Fasangasse, in der rechten und linken Bahngasse.

Die Wörter Kleist, Moos, Fasane begegnen wie Dinge in einem Traum. Sie sind verschoben und herausgelöst aus ihrem Zusammenhang. In sie ist ein Riss eingezeichnet, der sie nicht mehr mit dem verknüpft was sie bezeichnen. Dieser Riss lässt sie federleicht werden, aufnehmend wie Stoff. Teppich der Erinnerung. 

 

Was bezeichnet das Wort Fender? Es ist hergeleitet aus dem lateinischen defendere, abwehren, verteidigen, aber wehrt das Wort Fender in dem Titel der Ausstellung etwas ab? Was macht das Wort Fender, das in der Nähe der Feder liegt?

 

Der Boden der Ausstellung ist ausgelegt mit Poolfolie. Die Objekte, gefaltet aus einer Schicht pigmentiertem Buchbinderleim, hängen an Schnüren an der Wand, die sich an der Decke wiederholen. In sie sind wiederum Bahnen aus einer Schicht pigmentiertem Buchbinderleim eingeflochten.

Der blaue Boden. Die Blasen, die Falten, das Glitzernde, das Cremige, das Durchscheinende, das Versteckte, das Offene der Oberflächen. Das Licht, das in den Ausstellungsraum fällt, zieht das Blau des Bodens für einen Augenblick über die Objekte. Jetzt liegen sie in einem blauen Schatten. Können auch ihre Oberflächen sich ausbreiten und übergehen, ihre Blasen, ihr Glitzern und Durchscheinen sich verbinden mit dem Boden und für einen Augenblick zurückstrahlen?

Wo befinden sich die Besucher*innen der Ausstellung? Im Wasser?

Sind wir eingetaucht und unter Wasser? Die Oberflächen der Objekte, glänzend, cremig kommen uns nah wie Wasser auf der Oberfläche unserer Körper. Federnd begrüßen sie uns in diesem Tauchgang. fender feather feder

 

Ich sehe die weißen Objekte.

Ich sehe das Weiß in Tönen.

Ich sehe das Weiße tönen.

Die Töne bringen mir Fetzen von Erinnerung.

Weiß, das ocker ist und glänzt. Die Zikaden! 

Weiß, das gelb ist. Die Zeichnung der Sonnencreme im Handtuch, die sich erinnert an unsere Körper.

Weiß, das rosa ist. Erdbeereis!

Weiß, das graurosa ist, das aufbricht und zerbröselt. Der Sandstein, der Sandstein, braunrosa, graurosa wird seine Oberfläche porös. In ihr ist eine Narbe gezeichnet, das ist die Stelle, die luftig ist und dünn.

Weiß, das hellgrau ist. Milchig wo Wasser ist und Sand in der Früh. 

Die Früh, das Licht, der Traum. Die Früh, das Licht, der Albtraum.

Die Albernheit der Luftmatratze. 

Weiß, das taubengrau ist. Grau wie die Tauben in Wien, die Tauben in Wien, die Töne der Tauben in Wien.

 

Eines ist gefaltet wie ein Beutel und am oberen Ende zusammengeschnürt. Es bildet sich eine runde Einkerbung. Darin ist es schattig. Seine Oberfläche glänzt matt als ob sie feucht ist. Auf der Haut spüren wir sie schmelzen.

Eines ist geschnürt. Die Schnur ist um seine vier Seiten gewickelt wie ein Packet. Neben ihr bricht eine andere Linie als Spalte hervor. Ihre Oberfläche wird durchscheinend und rosa. Erdbeereis! Aber nicht das Eis, das ich esse, sondern das Eis, das der Hund isst. Die Zunge des Hundes auf der Eiskugel. Die Zunge des Hundes ist Erdbeerrosa.

Eines hängt in der Mitte gefaltet über einer Schnur. Es sonnt sich und glitzert dabei. Es träumt von Wellen und Wasser. Es schickt seine Träume zu uns. Wir nehmen sie auf und andere Träume begegnen uns.

 

Die Objekte von Julia Haugeneder sind gefaltete Oberflächen. Die Künstlerin breitet pigmentierten Buchbinderleim auf einer Folie am Boden aus, lässt ihn trocknen und zieht ihn ab, um ihn zu falten. Die Falten sind gelegt, gestülpt, gezogen, vielleicht gedreht, innen und außen vermischen sich. Das was Körper verleiht ist selbst luftig, Luftpolsterfolie. Die Oberfläche hat kein oben und unten, kein davor und dahinter. Sie ist offen, aufnehmend wie Haut. In ihr sammelt sich etwas, das aufgelesen werden kann.

Auch das Wort Fender betrifft eine Oberfläche, die Oberfläche eines Körpers zwischen Bootswand und Kaimauer. 

Das Wort Fender in der Ausstellung wehrt nichts ab, es fängt. Es fängt und sammelt. Wie die Oberflächen der Objekte das Licht sammeln. Nachmittagshitze, Gewitter, Beerenschatten. 

Fender, vielleicht federnde Gefäße, die Erinnerung nicht bewahren, aber einen Widerstand erzeugen oder einen Riss machen in die Bezeichnungen wie die Wörter Kleist, Moos, Fasane, der sie verschiebt und öffnet. Ein Riss im Fühlen und Denken, ein Körper, der sich dazwischenschiebt und Fetzen von Erinnerung auslöst, die uns unbekannt sind. 

Erinnerung begreift sich nicht zu Ende. Aber vielleicht, daß die Beeren ein geheimes Verhältnis zu ihr haben, das so offenbar und so undurchsichtig vor uns liegt wie sie selber mit dem Blau und Rot ihrer Kinderfarben, eingebettet in den warmen Schatten, in die Unaufhörlichkeit der frühen Zeit.

 

 

 

Natalie Neumaier

Wien im Juli 2022

 

 

 

 

 

Die kursiv gesetzten Passagen enthalten Zitate von Ilse Aichinger aus dem Buch Kleist, Moos, Fasane, 3. Aufl. Frankfurt a. M. 2004.

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0